Freitag, 28. März 2025

Santana – Sentient (2025)

Carlos Santana hat selbst dafür gesorgt, dass man gar nicht mehr genau sagen kann, was Santana überhaupt ist. Seit dem Comeback mit „Supernatural“ (1999) wirken mehr und mehr Gastmusiker bei den Aufnahmen mit. Die Band Santana – bei Konzerten noch als Ensemble zu erleben – tritt auf Alben oft in den Hintergrund oder ist gar nicht mehr dabei. In den Siebzigern und Achtzigern wurden solche Projekte als gelegentliche Soloprojekte von Carlos definiert. Heute ist jede Veröffentlichung ein Soloprojekt – egal, wie viel Santana vorne draufsteht.

Seit dem 28. März 2025 gibt es das neue Santana-Album „Sentient“, was „gefühlvoll“ oder „sensibel“ heißt. Von der aktuellen Band sind Cindy Blackman Santana auf zwei Songs und Benny Rietveld auf einem Song dabei – das war‘s. Daneben hören wir noch zwei alte Santana-Aufnahmen. Der Rest ist Carlos gemeinsam mit anderen Musikern aus der Zeit von 1991 bis heute.



„Sentient“ enthält elf Titel. Nur drei davon sind bislang unveröffentlicht. Wer allerdings die alten und interessanten Gastspiele von Carlos Santana bei Michael Jackson und Paolo Rustichelli sowie den Rap von DMC bislang nicht kennt, findet hier schon neun unbekannte Songs. Also hören wir mal.

„Let the Guitar Play“, eine etwas poppiger abgemischte Rap-Version des „Song for Cindy“ vom letzten Album „Blessings and Miracles“ (2021), erscheint am 30. September 2023 als Video. Für den Rap sorgt Darryl „DMC“ McDaniels von Run-DMC. Weitere Versionen von „Let the Guitar Play“ folgen am 12. Januar 2024 als Downloads und zum Streamen, nämlich eine Radio Version, eine Soul Radio Version und eine Instrumentalfassung. Die mit der Musik des Videos identische Radio Version ist hier auf „Sentient“ gelandet. Als Musiker sind neben Carlos, Cindy und DMC auch Narada Michael Walden und sein vierköpfiges Nicolosi-Team dabei.

„Stranger in Moscow“ von Michael Jackson wird in einer zart hereinschwebenden Live-Version aus dem Jahr 2007 von Narada Michael Waldens Band interpretiert. Carlos dominiert jedoch mit ergreifenden Soli, die ihm mehrfach verdienten Applaus auf offener Szene bescheren.

„Whatever Happens“ ist ein Besuch bei Michael Jackson auf dessen Album „Invincible“ (2001). Carlos spielt Gitarre und pfeift, während im Hintergrund dezent ein Orchester säuselt. Auch dieser Song gefällt mir. Am Ende bedanken sich Carlos und Michael brav beieinander – irgendwie rührend.

Bei dem zweiten neuen Stück „Please Don‘t Take Your Love“ mit Smokey Robinson begleitet Carlos den etwas eintönigen und herben Soultitel recht passend, nämlich eintönig und herb. Große Inspiration geht von ihm jedenfalls nicht aus.

Miles Davis starb am 28. September 1991. Trotzdem ist er beim Album „Mystic Man“ von Paolo Rustichelli (1996) dabei. Für die Songs „Get On“ und „Rastafario“ wurden also Archiv-Aufnahmen verwendet. Sie entstanden vermutlich während einer Session am 26. Juli 1989 in Rustichellis Studio in Rom, bei der Miles Davis sieben Songs eingespielt haben soll.

„Mystic Man” mit dem Cover der italienischen Ausgabe.

Von Rustichellis älterem Album „Mystic Jazz“ (1992) stammt außerdem der Song „Full Moon“. Über ihn fand Benny Rietveld, der zuvor bei Miles Davis den Bass zupfte, zu Santana, wie er selbst erzählt: „Carlos und ich trafen uns bei einer Aufnahmesession für Paolo Rustichellis Album ‚Mystic Jazz‘. Ich spielte auf einigen Songs dieses Albums, als ich noch bei Miles war, und Carlos wirkte auf ‚Full Moon‘ mit. Daher trafen wir uns im Studio. Und da Carlos ein großer Fan von Miles war, hatte er mich schon ein paarmal spielen sehen. Wir unterhielten uns und tauschten unsere Nummern aus. Ich hatte schon das Gefühl, dass es an der Zeit war, Miles‘ Nest zu verlassen, also schien es das nächste Ding für mich zu sein. Und es war, als schließe sich ein Kreis, weil Carlos mehr zu meinen musikalischen Vorlieben und meiner Generation passte“.

Die vier Stücke mit Paolo Rustichelli sind wirklich hörenswert. Sie bewegen sich zwischen Jazz, Soul und Blues und schlagen eine Brücke zu dem für Carlos so wichtigen Miles Davis. Warum sie indes als „Sentient Versions“ bezeichnet werden, vermag ich nicht zu sagen. Ich kann keine Unterschiede zu den Originalen feststellen.

„I’ll Be Waiting“ und „Blues for Salvador“ sind alte Santana-Songs von den Alben „Moonflower“ (1977) und „Blues for Salvador“ (1987). Vielleicht landen sie auf „Sentient“, weil es einfach gefühlvolle Songs sind, die somit dem Albumtitel entsprechen. „Blues for Salvador“ hat außerdem eine besondere Bedeutung. Denn für diese ausgedehnte Gitarrenimprovisation mit WahWah-Effekten, getragen von Chester Thompsons feinfühligem Keyboard, gewann Carlos 1989 seinen ersten Grammy Award, und zwar in der Rubrik „Best Rock Instrumental Performance“.

Fehlt als dritter neuer Titel „Coherence“ mit Cindy Blackman Santana. Der Song klingt härter und dumpfer als der Rest und obendrein etwas experimentell und unfertig. Um echte Stimmigkeit (so die Übersetzung) in das Stück zu kriegen, müssen die Musiker am Arrangement noch feilen.

Insgesamt lebt „Sentient“ vor allem von den betagteren Aufnahmen und lohnt sich insbesondere für Fans, denen die versprengten Kollaborationen mit Michael Jackson und Paolo Rustichelli noch fehlen.

Donnerstag, 6. Februar 2025

Santana at Budokan, Live in Tokyo 1991, feat. Sadao Watanabe (DVD 2007)

Am 21. Mai 1991 trat Santana im Budokan in Tokyo auf und lieferte ein hörens- und sehenswertes Konzert ab. Tony Lindsay, Benny Rietveld und Karl Perazzo waren neu in der Band. Gaylord Birch sprang zum zweiten Mal seit 1976 ein. Nur Chester Thompson und Raul Rekow hatten sich schon lange bei Santana etabliert.


Besondere Erwähnung verdient jedoch der von Carlos Santana eingeladene japanische Jazz-Saxofonist Sadao Watanabe (geboren 1933) als Special Guest. Er ist wirklich „special“. Warum? Oh, das geht weit zurück und reicht bis in die Vorgeschichte von Santana, ungefähr ins Jahr 1966.


Über einen Freund lernte Carlos damals ein Album kennen, das ihn erst umhaute und dann maßgeblich prägte. In seiner Biografie (ab Seite 136) erzählt er davon: „Es war ‚El Chico‘ von Chico Hamilton – das Album mit den lateinamerikanischen Perkussionisten Willie Bobo und Victor Pantoja und einem Gitarristen namens Gábor Szabó. Mir gefiel das Album auf Anhieb. Chico trug einen Torero-Umhang, und einige Songs, etwa ‚Conquistadores‘ und ‚El Moors‘, hatten spanische Titel. Ich wusste, dass Chico ein Jazz-Drummer war, aber es klang anders als jeder Jazz, den ich je zuvor gehört hatte. Die Musik klang sehr lateinamerikanisch und war obendrein mit Soul und großartigen Grooves vermischt.


Aber es war Gábors Gitarre, die mich begeisterte. Ich hörte sie und spürte, wie die Moleküle in meinem Gehirn sich ausdehnten. Sein Sound hatte eine spirituelle Dimension und öffnete mir das Tor zu anderen Welten. Man merkte, dass er eine Menge indische Musik hörte, denn sein Sound enthielt auch Bordune. Es war Trance-Musik. Er konnte die einfachste Melodie spielen und dennoch in die Tiefe gehen. Gábor war der erste Gitarrist, der mich auf die Idee brachte, über ein Thema hinauszugehen und eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur den Titel eines Songs oder die Licks anderer wiederkäute. Gábor sorgte dafür, dass ich B. B. King, John Lee Hooker und Jimmy Reed untreu wurde. (…) ‚El Chico‘ war eine Straßenkarte, die mir zeigte, wohin ich als Nächstes gehen musste. Ich zog sofort los und holte mir Willie Bobos Album ‚Spanish Grease‘. Im folgenden Jahr kaufte ich Gábor Szabós ‚Spellbinder‘ – darauf war ‚Gypsy Queen‘ – und Bobos ‚Uno-Dos-Tres‘ mit ‚Fried Neckbones and Some Home Fries‘. Beide Songs trugen dazu bei, den Santana-Sound zu erschaffen“.


Das für Santana so wegweisende Album „El Chico” von Chico Hamilton erschien 1966. Die Aufnahmen entstanden bereits 1965. Darauf sind freilich nicht nur Gábor Szabó, Willie Bobo und Victor Pantoja zu hören. Saxofon und Flöte werden gespielt von Sadao Watanabe.

Montag, 6. Januar 2025

Gebrochener Finger zwingt Carlos Santana zu sechs Wochen Pause

Anfang 2025 brach Carlos sich den kleinen Finger der linken Hand bei einem unglücklichen Sturz in seinem Ferienhaus auf der Hawaii-Insel Kaua‘i. Der Finger wurde mit Stiften fixiert. Carlos wird sechs Wochen lang nicht Gitarre spielen können und muss daher eine Reihe von Konzerten in Las Vegas verschieben. Nach Auskunft der Ärzte soll er vollständig genesen und bald wieder auf der Bühne stehen.

Carlos Santana, Alphonso Johnson, Orestes Vilato (1987)
Es ist sicher hart für einen Musiker, sein geliebtes Instrument wochenlang nicht nutzen zu können. Davon abgesehen soll es dem Gitarristen nach Auskunft seines Managers Michael Vrionis immerhin gutgehen. Und die angekündigte Europatournee im Sommer 2025 mit fünf Konzerten in Deutschland soll davon nicht betroffen sein. Ich wünsche Carlos Santana jedenfalls eine schnelle Genesung.