Montag, 19. Juni 2023

Carlos – Der Film über Carlos Santana (2023)

Ende Mai 2022, wenige Tage vor dem Erscheinen meines Buches „Sechs Jahrzehnte SANTANA“, kam die Nachricht, dass eine Dokumentation über das Leben und die Musik von Carlos Santana produziert wird. Im letzten Kapitel konnte ich die Meldung gerade noch unterbringen.

Foto: Sony Pictures
Inzwischen ist der Film fertig und feierte am 17. Juni 2023 auf dem Tribeca Festival in New York seine Premiere. Die Dokumentation mit dem Titel „Carlos“ hat eine Spielzeit von 87 Minuten. Regisseur ist Rudy Valdez. Sony Pictures Classics hat die Rechte an dem Film erworben. Er soll am 29. September in U.S.-Kinos anlaufen (mehr hier).

Der in Michigan geborene und aufgewachsene Filmemacher und Emmy-Award-Preisträger Rudy Valdez ist dankbar für die Gelegenheit, Carlos Santanas Geschichte zu erzählen. „Carlos ist ein echter Wegbereiter, der vielen Menschen sehr viel bedeutet. Ich hoffe, dass dieser Film ein Leben voller Menschlichkeit würdigt. Für mich war es unglaublich wichtig, jemanden zum Vorbild zu haben, der die Grenzen und Erwartungen der Welt an ihn als mexikanischer Einwanderer und als farbige Person gesprengt hat. Und ich freue mich sehr, dass ich der Welt diese Geschichte präsentieren kann.“

Auf die Frage, wie es ist, einen Film über sein eigenes Leben zu sehen, antwortet Carlos: „Es ist seltsam. Es ist interessant, diese Person zu beobachten, die unaufhörlich danach strebt und daran glaubt, dass sie mit diesen unglaublichen Musikern auf eine Bühne gehört. Wer hätte gedacht, dass ich in einem Moment im Tic Tock (Drive-In) Teller wasche und im nächsten mit Jerry Garcia und Eric Clapton auf der Bühne stehe und dass sie auf mich schauen als hätte ich etwas, von dem sie lernen wollen? Sie alle fragten: ‚Wo hast du das her?‘ Und ich sagte: ‚Ich habe einem ungarischen Zigeunermusiker namens Gábor Szabó gelauscht‘. Und Schlagzeugern. Ich habe viel von afrikanischen Schlagzeugern gelernt. So erfuhr ich, wie man die Eier anders rühren kann. Die Jungs von Creedence Clearwater fragten: ‚Wie nennst du die Musik, die du spielst?‘ Und ich sagte: ‚Afrikanische Rhythmen mit Bluesgitarre‘“.

Samstag, 10. Juni 2023

Bob Dylan – Die Philosophie des modernen Songs (2022)

Bob Dylan ist der erste Musiker, der den Nobelpreis für Literatur erhielt. Und zwar „für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“. Das war 2016. Doch er kann auch Bücher schreiben. Am 2. November 2022 erschien „Die Philosophie des modernen Songs“. Die deutsche Ausgabe (Verlag C.H. Beck) hat 352 Seiten und kostet 35 Euro. In 66 Kapiteln stellt Bob Dylan 66 Musikstücke vor, wobei das älteste („Keep My Skillet Good and Greasy“ von Uncle Dave Macon) aus dem Jahr 1924 und das neueste („Nelly Was a Lady“ von Alvin Youngblood Hart) aus dem Jahr 2004 stammt. Es ist eine eigenwillige Auswahl des verdienten und prägenden Singer-Songwriters, die man vielleicht genau deshalb einfach respektieren sollte, ohne über den Begriff „modern“ zu diskutieren, die Titelauswahl zu kritisieren oder das Fehlen eigener Lieblingssongs zu beklagen.


Ich widme mich Dylans Buch, weil „Black Magic Woman“ – geschrieben von Peter Green, besprochen aber ausdrücklich in der Version von Santana – einer dieser 66 Songs ist. Bevor ich darauf eingehe, sei erwähnt, dass „Die Philosophie des modernen Songs“ neben den Gedanken des Autors sehr viele historische Fotos und Bilder enthält. Sie zeigen Plattenläden, die Herstellung von Vinylscheiben, Musiker, Menschen, uralte Werbung in Zeitungen und Magazinen, skurrile Szenen und vieles rund ums Musik-Business. Eine vielseitige Mischung. Ein Bilderbuch voller Geschichten … oder umgekehrt. Dabei nähert sich Dylan den Songs auf recht unterschiedliche Weise. Mal steigt er direkt bei dem Titel ein, mal spannt er uns mit Geschichten und Assoziationen – mitunter etwas spröde – auf die Folter, bis er irgendwann zum Thema kommt. Manche Kapitel sind vorbei, bevor sie richtig begonnen haben. Andere bieten reichlich Lesestoff. Immer wieder öffnet Bob Dylan den Blick für Facetten, die man bislang übersehen hat.

Gespannt schlage ich also Kapitel 56 über „Black Magic Woman“ von Santana (S. 281–288) auf. Was schreibt Bob Dylan wohl darüber? Überraschenderweise nicht besonders viel. Stattdessen erzählt er von der US-amerikanischen Schriftstellerin und Drehbuchautorin Leigh Brackett (1915–1978). Sie hat viel Fantasy- und Science-Fiction-Literatur verfasst, darunter das Drehbuch zu „Star Wars: Das Imperium schlägt zurück“ mit George Lucas. Offene Rätsel bringen einen gewissen Zauber in ihre Geschichten.

Damit leitet Dylan allmählich zum Thema Magie über. Magie kann auch darin bestehen, zu tun, was eigentlich allen Regeln und Normen widerspricht, was wenig Sinn ergibt, in der speziellen Kombination aber wunderbar funktioniert. Gerade bei Musik hilft Bildung nicht unbedingt weiter: „Nimm zwei Menschen – der eine studiert kontrapunktische Musiktheorie, der andere weint, wenn er ein trauriges Lied hört. Welcher von beiden versteht die Musik besser?“ (S. 286).

Scheinbar dürftige Texte und simple Sätze können im Zusammenklang mit der richtigen Musik ihren Zauber entfalten. Genau hier verbirgt sich laut Dylan das Geheimnis von Santanas „Black Magic Woman“: „Ist es ein Blues? Musikexperten werden andere Einflüsse anführen, andere Künstler und Zitate aus anderen Songs ins Spiel bringen. Wer in musikalischen Strukturen besonders bewandert ist, wird vielleicht auf Tempowechsel und technischen Firlefanz wie Hammering, transponierte Harmonien und den Übergang zwischen ungarischen und lateinischen Polyrhythmen verweisen. Über das Herz des Songs wird damit aber nichts gesagt.

Oberflächlich betrachtet mag der Text nicht beeindrucken. In zwei der drei sechszeiligen Strophen wird eine der Zeilen gleich viermal wiederholt. In der dritten nur dreimal. Doch im Verbund mit der Musik wirkt er hypnotisch, ekstatisch, gleichermaßen mysteriös und so direkt wie ein Telegramm. Er besitzt die Tiefe eines großartigen Gemäldes, verändert sich je nachdem, wie man sich ihm nähert, und scheint von innen heraus zu leuchten, er fordert zu wiederholter Betrachtung auf.“ Dylans Fazit: „Man kann weiterhin aus der Musik eine Wissenschaft machen wollen, aber in der Wissenschaft wird eins und eins immer zwei ergeben. Musik dagegen erklärt uns, wie alle Kunst, auch die Kunst der Liebe, dass eins plus eins unter optimalen Bedingungen drei ist“ (S. 287).