Montag, 17. April 2023

Michael Shrieve & Steve Roach – The Leaving Time (CD 1988)

„The Leaving Time“ ist eine Kollaboration des ehemaligen Santana-Schlagzeugers Michael Shrieve und des Ambient-Musikers Steve Roach. Wir hören entspannten und zugleich spannenden, sphärisch-dichten und zugleich treibenden Jazzrock mit gelegentlichen Einsprengseln von Gitarre, perkussiv gespieltem Xylophon und anderen Elementen. Vieles wird allerdings von Keyboards, Synthesizern oder elektronischen Drums erzeugt, so dass oft nicht klar feststellbar ist, welche der wahrgenommenen Instrumente wirklich echt sind.


Verträumt und fast ein bisschen hypnotisierend gleitet die Musik durch 45 Minuten. Ich kann sie mir gut als Soundtrack für einen Film mit Naturaufnahmen vorstellen. Am aufregendsten und als Höhepunkt kommt für mich Track 7 „Edge Runner“ daher. Das mag auch so gewollt sein. Danach folgt nämlich nur noch ein „Reprise“ des Titelsongs als kurzer Ausklang. Alles in allem ist dies ein sehr schönes, hörenswertes Album.

Der Titel „The Leaving Time” weckte in mir die Frage, ob Michael Shrieve dabei an seine Trennung von Santana nach „Borboletta“ (1974) dachte. Denn die ergab sich buchstäblich über Nacht, als Michael mit höllischen Schmerzen ins Hospital kam und sich schwor, die Band zu verlassen, wenn er nur überlebt, weil er diesen Schritt schon länger vor sich herschob. Und prompt kündigte er am nächsten Tag. „Ich weiß nicht, was mein Abgang für Carlos bedeutete. Er kam ins Krankenhaus und fragte, warum ich das mache und ich sagte ihm, dass es Zeit für mich war zu gehen. Es gab keinerlei Feindseligkeiten gegenüber Carlos. Alles, was geschah, war okay. Es war einfach die natürliche Ordnung der Dinge. Irgendwann kommt die Zeit – und das war jetzt“ (siehe „Sechs Jahrzehnte SANTANA“, S. 119). The Leaving Time, also.


In dem Zusammenhang überlegte ich auch, ob das Cover womöglich sachdienliche Hinweise verbirgt und forschte mangels Informationen in den Credits nach, was genau es zeigt. Nun … ich kann keine Verbindung erkennen. Das Cover ist ein farblich verfremdeter Ausschnitt des Gemäldes „Die Ekstase der Maria Magdalena“ vom flämischen Maler Louis Finson aus dem frühen 17. Jahrhundert.

Samstag, 15. April 2023

Stomu Yamashta‘s Go – The Go Sessions (2 CDs 2005)

1976 versammelte der japanische Perkussionist, Multiinstrumentalist und Komponist Stomu Yamashta einige renommierte Musiker um sich für ein experimentelles Projekt, welches das asiatische Brettspiel Go zum Thema haben sollte. Heraus kam eine internationale Supergroup mit Yamashta selbst, Steve Winwood (Blind Faith, Traffic), Michael Shrieve (Santana), Al Di Meola (Chick Corea & Return To Forever), Klaus Schulze (Tangerine Dream, Ash Ra Tempel) und weiteren. Wie andere Supergroups auch war sie nur kurzlebig und das Ergebnis eines glücklichen Zusammentreffens im richtigen Augenblick. Sehr bald kehrten die Beteiligten zu ihren eigenen Projekten und Verpflichtungen zurück. Gemeinsam produzierten sie drei Alben: „Go“ (1976), „Live from Paris“ (1976) und „Go Too“ (1977). 2005 veröffentlichte das australische Label Raven Records – und nur dieses – alle drei Alben auf einer Doppel-CD mit dem Titel „The (Complete) Go Sessions“.


Auf „Go“ hören wir einen bunten Mix aus getragenen Keyboard- und Synthesizer-Passagen, rockigen und funkigen Songs. Manchmal dominiert die Stimme von Steve Winwood, dann legt Al Di Meola ein Gitarrensolo hin oder Michael Shrieve und Stomu Yamashta donnern mit Schlagzeug und Percussion dazwischen. Auch Bass, Violine, Congas und Holzbläser inklusive Oboe und Piccoloflöte sowie Blechbläser tauchen gelegentlich auf.


Die Liner Notes zu „Go“ verraten uns, dass auf diesem Konzeptalbum eine Geschichte erzählt wird, die kurioserweise mit dem ersten Song der zweiten Seite (der LP – also mit „Space Requiem“) beginnt und mit dem letzten Song der ersten Seite („Space Theme“) endet. Von der Musik her ist die vorgefundene Reihenfolge jedoch schlüssig.

„Live from Paris“ gerät deutlich rockiger als „Go“ – das Konzert war mit recht viel Show und Action untermalt. Es enthält weitgehend dieselben Stücke, nur stimmt hier deren Reihenfolge ungefähr mit der erzählten Geschichte überein, weil die zweite Seite von „Go“ vor der ersten Seite gespielt wird. Der Titel „Windspin“ ersetzt „Space Theme“ und zitiert mittendrin (CD 1, Track 3, ab 8:00) eine markante Stelle aus dem von Michael Shrieve geschriebenen „Every Step of the Way“ – vergleiche die Versionen auf den Santana-Alben „Caravanserai“ (ab 2:06) oder „Lotus“ (ab 2:58).


Bei „Go Too“ ist Steve Winwood leider nicht mehr dabei, weil er sich auf sein erstes Soloalbum konzentrieren wollte. Die Stimmen von Linda Lewis und Jeff Roden können seine nicht ersetzen. Das Album fällt souliger aus und kann insgesamt mit den ersten beiden nicht ganz mithalten, wie ich finde.

Donnerstag, 6. April 2023

Chicano Power! Latin Rock in the USA 1968–1976 (2 CDs 1998)

Die Band Santana ist wohl der bekannteste Vertreter des Latinrock. Dieser Musikstil entwickelte sich in den späten Sechzigerjahren in San Francisco und anderen Großstädten der USA aus Latinjazz, Boogaloo und Soul. Es war die Musik junger Menschen mit lateinamerikanischer Abstammung – der Chicanos – und ein Ausdruck ihrer stolzen, multikulturellen Identität.


„Chicano Power!“ ist eine Doppel-CD, die eine Reihe von Latinrock-Bands der späten Sechziger und frühen Siebziger vorstellt, darunter Santana, Azteca, Malo und Sapo mit ihrer personellen Verflochtenheit.


Da ist Raul Rekow bei Sapo zu hören, Jorge Santana, Pablo Tellez, Richard Kermode, Luis Gasca, Coke Escovedo und Victor Pantoja bei Malo sowie Victor Pantoja, Coke Escovedo, Wendy Haas, Pete Escovedo und Rico Reyes bei Azteca – sie alle haben früher oder später und kürzer oder länger zu Santana gefunden. Santana besteht aus Carlos Santana, Michael Carabello, David Brown, Marcus Malone, Bob Livingston und Gregg Rolie und ist mit einem kurzen „Soul Sacrifice“ (4:53) auf dem Sampler vertreten. Als Toningenieure und Produzenten begegnen uns David Rubinson, Fred Catero und Glen Kolotkin. Aber das sind alles nur Momentaufnahmen. Raul Rekow spielte bei Malo, bevor er zu Sapo und dann zu Santana wechselte. Viele der Musiker traten etwas später bei den Fania All-Stars auf … und so weiter. Jedenfalls bekommen wir richtig heiße Musik zu hören.




Die damalige Chicano-Szene war bunt und vielfältig und konzentrierte sich auf die drei Metropolen San Francisco, Los Angeles und New York. Doch die meisten Combos blieben bestenfalls lokale Berühmtheiten, über die das 40-seitige Booklet einiges zu berichten weiß. Es erläutert zudem die sozialen Hintergründe und die Subkultur der Chicanos. Insgesamt ist dies eine sehr informative und schön aufgemachte Box im Pappschuber, die mittlerweile schon 25 Winter gesehen hat.