Samstag, 11. Dezember 2021

Santana – Blessings And Miracles (CD 2021)

Santana wechselt wieder einmal die Plattenfirma. Am 4. August 2021 gibt BMG in einer Pressemitteilung bekannt, dass Carlos bei ihnen unterschrieben habe. Das nächste Santana-Album, bei dem viele Stars mitwirken, werde bei ihnen veröffentlicht. Es ist für den 15. Oktober geplant.

Also wieder viele Gäste statt einfach nur Santana. Nun gut. Nach dem Tiefpunkt „Africa Speaks“ (2019) erwarte ich sowieso wenig – und werde von „Blessings And Miracles“ angenehm überrascht.

„Ghost of Future Pull/New Light” ist ein recht kurzes, spannendes Intro, gefolgt von „Santana Celebration“. Dies reißt einen zunächst unsanft aus den Träumen, um dann aber mit viel Percussion und Orgel gefällig zu punkten.

„Rumbalero“ mit dem Gesang von Asdrubal Sierra und – Überraschung – Salvador Santana (dem Sohn von Carlos) ist ein Highlight mit hübschen Piano-Einlagen. Für mich bislang die stärkste Performance von Salvador, dessen immer nur kurz und rap-artig eingesetzte Stimme sich hier richtig gut macht. Der Song wäre geeignet gewesen, „Africa Speaks“ erheblich aufzuwerten.

„Joy“ mit Chris Stapleton ist ein hübscher Song mit dezentem Reggae-Rhythmus. Carlos erzählt: „Als er mich fragte, welche Musik ich gerne hätte, antwortete ich: ‚Musik wie mystische Medizin, um die verdrehte, korrupte, infizierte Welt voller Angst, Dunkelheit und Trennung zu retten.‘ Darauf er: ‚Oh oh! Okay.‘ Ich sagte: ‚Ich komme aus derselben Ecke wie Bob Marley und John Lennon. Wir glauben, dass wir alle eins sind, und ich möchte gemeinsam mit dir ein Lied schreiben, bei dem Text, Melodie und Richtung – also die ganze Bandbreite – mystische Medizinmusik ist, um eine infizierte Welt voller Angst und Dunkelheit zu heilen.‘ Er mochte das und so schrieb er diesen Song, wie wir es am Telefon besprochen hatten, und er heißt ‚Joy‘ (Freude). Freude ist das allerbeste Heilmittel gegen Angst“.

Bei der ersten Singleauskopplung „Move“ finden Carlos Santana und Rob Thomas erneut zusammen – 22 Jahre nach dem Riesenerfolg „Smooth“. Eine Offenbarung ist das aus meiner Sicht freilich nicht. Fans hätten dieser neuen Kollaboration atemlos entgegengefiebert, heißt es im Marketing-Blahblah des Santana-Newsletters. „‚Move‘ entstand ähnlich wie ‚Smooth‘“, so Carlos. „Es war göttliche Fügung hinter den Kulissen …“. Okay, das kennen wir schon von „Supernatural“. Von Beginn an sei der Song ein Gewinner, erfahren wir. „Santanas kraftvolle Gitarrenlicks setzen alles in Brand und ab geht‘s mit einem knirschenden, groovenden, lautstarken, swingenden und insgesamt atemberaubenden Mix aus Pop und Latinrock mit wirklichem Feuer, das einen tagelang nicht loslässt“ und so weiter. Naja …

Dagegen ist der Procol-Harum-Klassiker „Whiter Shade Of Pale“ aus dem Jahr 1967, hier mit der Stimme von Steve Winwood, die reinste Erholung. Bei einem Konzert im Londoner Hyde Park mit Eric Clapton, Gary Clark (Jr.) und Steve Winwood kommt Carlos die Idee dafür: „Hey, Stevie“, ruft er ihm ins Ohr, „ich höre dich ‚A Whiter Shade Of Pale‘ singen und dazu die Orgel spielen und mich die Gitarre, aber wir machen es völlig anders – im afrikanischen, kubanischen, puertoricanischen Guajira-Stil. Sehr sexy“. Aber Winwood schaut Carlos nicht an, sondern konzentriert sich weiterhin auf Gary Clark. Carlos fragt sich schon, ob seine Worte überhaupt angekommen sind. „Innerhalb von zehn Sekunden, glaube ich, hörte er ebenfalls, was ich hörte. Er wendete sich zu mir und sagte: ‚Carlos! Ich höre es! Ich sehe, was du gerade meintest!“. Und hier ist das Ergebnis. Entgegen der Idee singt Steve Winwood nur und sitzt wohl nicht an der Orgel. Sie klingt nicht nach ihm und Credits erhält er dafür auch nicht.

Dann kommt „Break“ mit Ally Brooke und wir erleben Carlos in einer gefühlvollen Ballade. Von seinem Gitarrenspiel her ist dies einer der besten Songs auf dem Album.

Bei „She‘s Fire“ sind Diane Warren und G-Eazy dabei. Und wenn jüngere Hörer auf Anhieb G-Eazy erkennen und sich fragen, wer wohl dieser Gitarrist sei, geht das Konzept mit den vielen Stars aus geschäftlicher Sicht auf.

„Peace Power“ mit Corey Glover von Living Colour wird wieder laut. Noch lauter und ziemlich heftig gerät „America For Sale“ mit Kirk Hammett von Metallica und Marc Osegueda von den Death Angels. Carlos meint, er hätte mit Leichtigkeit ein komplettes Hardrock-Album aufnehmen können. „Weil wir es können. Cindy kann das, und ich kann das. Es braucht nur Gelegenheiten, um wie mit Kirk Hammett Songs aufzunehmen und dabei zu brennen“. Neben Kirk Hammett will Carlos zunächst Steven Tyler ins Boot holen, der jedoch andere Prioritäten hat. Also fragt er Hammett, ob der jemanden mit einer ähnlichen Stimme wie beim Sänger von AC/DC wüsste. Hammett schlägt seinen besten Freund Marc Osegueda vor und lädt ihn ein. Für Freunde härteren Rocks hat das Stück einiges zu bieten.

Anschließend beschert „Breathing Underwater“ mit Stella Santana (einer Tochter von Carlos – Lead Vocals) und Avi Snow (Vocals) eine kurze Atempause. Instrumente und Stimmen klingen sehr opulent und dicht, tatsächlich wie unter Wasser. Und zum Ende hin lässt die Gitarre kleine Luftbläschen aufsteigen. Im Original heißt der Song „Golden“ und stammt von Avi Snow & MVCA featuring Stella Santana. Carlos mag ihn sehr und fragt zum Erstaunen seiner Tochter, ob er ihn für das neue Album verwenden und mit seiner Gitarre begleiten darf.

„Mother Yes“ geht abermals rockig zur Sache. Und dann liefert Carlos bei „Song For Cindy“ ein etwas romantischeres Gitarrenspiel ab, wie man es freilich auch erwarten darf, wenn er das Lied schon seiner Frau widmet.

„Angel Choir/All Together” mit Gayle Moran Corea und Chick Corea ist einer der emotionalsten Songs des Albums. Kurz zwar, aber wirklich schön. Die Credits teilen sich Gayle und Chick Corea, verheiratet seit 1972. Gayle Moran Corea spielt unter anderem Mitte der Siebziger im Mahavishnu Orchestra. „Oh mein Gott, das geht zurück bis 1970 oder 1972“, erinnert sich Carlos. „Wir schrieben uns immer zu Weihnachten. Und sie wollten gerne etwas mit mir gemeinsam machen. Aber aus irgendwelchen Gründen haben wir das nicht hinbekommen. Plötzlich erzählte Gayle, sie hätten einen Song für mich und wünschten endlich unsere Zusammenarbeit. Also sagte ich zu. Und kaum hatten sie mir diesen Song geschickt, da verließ uns Chick. Aber er hatte all die Keyboards gespielt. Und so machten wir daraus den Song“. Chick Corea, geboren am 12. Juni 1941, stirbt am 9. Februar 2021. „Es war der letzte Song, den er schrieb, bevor er in die nächste Realität ging …“.

„Ghost Of Future Pull II“ erinnert vom Basslauf her an „3rd Stone From The Sun“ von Jimi Hendrix, was ja das Rückgrat von Santanas „Gypsy Queen“ bildet, und verbindet diese Idee mit indianischen Chants und einem nochmal intensiven Abgang.

Carlos verbringt einen Teil der letzten zwei Jahre als Produzent mit den Aufnahmen für „Blessings And Miracles“. Corona zwingt die Musiker, ihre Beiträge aus der Ferne beizusteuern, aber die Technologie macht es immerhin möglich. „Es ist unglaublich, wie wir gemeinsam aufnehmen konnten, ohne im selben Studio zu sein“, so Carlos. „Ich schloss meine Augen, und schon war ich im selben Raum mit wem auch immer. Die Schwingungen verbanden uns“.

Das Cover zeigt Tlāloc, eine Gottheit der Azteken. Er ist der Gott des Regens, des Wassers und der Fruchtbarkeit der Erde – Symbole dafür sind auf dem Bild leicht zu erkennen. Tlāloc hat zwar auch die etwas unangenehmere Eigenschaft, Hagel, Blitz und Donner zu senden. Doch Carlos geht es um die segensreichen Kräfte, die uns Glück, Heilung und Wohlstand in vielfältiger Form bescheren können. „Gott ist für jeden da – wie auch der Regen. Für mich stehen Wunder und Segnungen in Verbindung mit Gnade. Und Gnade gibt es in allen Religionen und Glaubensrichtungen“. „Der Titel dieses Albums entspringt meiner Überzeugung, dass wir mit himmlischen Kräften geboren werden, die es uns ermöglichen, Segnungen und Wunder – Blessings And Miracles – zu bewirken“, so Carlos. „Die Welt suggeriert dir, dieser Geschenke unwürdig zu sein. Doch wir müssen Licht, Geist und Seele nutzen. Sie sind unzerstörbar und unveränderlich. Das sind die drei Elemente dieses Albums“.

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