Dienstag, 3. September 2024

Turiya Alice Coltrane & Devadip Carlos Santana – Illuminations (1974)

Vor 50 Jahren – im September 1974 – erschien das Album „Illuminations“ von Turiya Alice Coltrane & Devadip Carlos Santana. Beide haben dem bürgerlichen Namen ihren Sanskrit-Namen vorangestellt, was bereits auf die spirituelle Ausrichtung des Albums verweist. Das in einer paradiesischen Traumwelt schwelgende Cover von Michael Wood unterstreicht diesen Anspruch mehr als deutlich. Es stimmt perfekt auf den süßlich-opulenten Überfluss der Musik ein, die von manchen als Free Jazz bezeichnet wird, was ich allerdings bestenfalls für einige Passagen gelten lassen möchte. „Die Musik führte mich weiter weg vom klassischen Santana-Sound als fast jede andere Aufnahme. Weiter weg, aber näher an meinem Herzen“, so Carlos Santana in seiner Biografie.



„Illuminations“ wird als Soloalbum von Carlos gezählt. Das ist natürlich kein zwingender Grund für so völlig andere Musik, wie sie uns hier begegnet. Dieses Album ist wirklich weit von „Jingo“, „Black Magic Woman“ oder „Samba Pa Ti“ entfernt. Rockmusik, schon gar Latinrock, sucht man hier vergebens. Wirklich eine erstaunliche Entwicklung.

Der kurze Auftakt ist sehr meditativ – ein langgezogenes, dreifaches „Om“ – bevor in „Angel of Air/Angel of Water“ Jules Broussards Flöte wie Vogelgesang ertönt und David Hollands samtweicher Bass sich einklinkt, von Streichern untermalt. Carlos Santana übernimmt mit seiner Gitarre die Regie, mit gelegentlichen Einwürfen von Tom Costers Electric Piano. Saxophon und Harfe treffen sich in einem ersten kurzen Höhepunkt, nach dem es ruhig weitergeht, sich erneut steigert und wieder entspannt. Der zehnminütige Titel ist also ein ständiges Auf und Ab, was Carlos als Ebbe und Flut bezeichnet. Das erinnert an Pharoah Sanders, der beispielsweise auf dem glänzenden „Ptah, the El Daoud“ mit Alice Coltrane gespielt hat. Bemerkenswert ist auch, dass es hier keine Drums und keine Percussion gibt. Cymbals (Becken) laufen zwar wie kleine Wellen am Strand auf, ansonsten trägt der Bass den Rhythmus. Berührend finde ich vor allem das knapp zweiminütige Intermezzo ab 4:27 mit Bass, Gitarre, Harfe, Streichern und E-Piano. Was Carlos und Dave Holland hier im Zusammenspiel bieten, ist ganz großes Kino. Ein absolut überzeugender, hochkarätiger, gefühlvoller Song. Je aufmerksamer man sich auf die Engel der Luft und des Wassers einlässt, desto mehr kann man sie genießen.


„Bliss: The Eternal Now“ ist das einzige Stück aus der Feder von Alice Coltrane. Hier dominieren ihre Instrumente, nämlich Streicher, Harfe und Piano. Der Song dreht sich im Kreis, wartet ab, findet keine Richtung und schürt so die Spannung.

Mit sirrenden, obertonreichen Klängen der Tanpura (oder Tamboura) von Prabuddha Phil Browne, langgezogenen Gitarrentönen von Carlos Santana, dem gestrichenen Bass von David Holland und den Tablas von Phil Ford versetzt „Angel of Sunlight“ uns für rund drei Minuten nach Indien, bevor das Tempo anzieht. Nun darf auch Armando Peraza an den Congas glänzen. David Holland – jetzt seinen Bass wieder zupfend – und Jack DeJohnette am Schlagzeug greifen ein, während Carlos eine ausgedehnte Improvisation hinlegt, bis Jules Broussard am Saxophon ihn ablöst. Alice Coltranes Wurlitzer und Tom Costers Hammondorgel gesellen sich hinzu. Mit Carlos‘ Gitarre ergibt sich ein ekstatisches Durcheinander (dies ist so eine Free-Jazz-Passage), welches sich schließlich langsam auflöst.


Das Titelstück „Illuminations“ mit fulminanten Pianoakkorden und getragenen Streichern bildet den gemächlichen Abschluss (der 2001 von Bill Laswell auf dem Album „Divine Light“ hörenswert zitiert und sphärisch verfremdet wird).

In den Siebzigerjahren fand ich dieses Album reichlich kitschig. Tatsächlich ist die Musik durchaus gewöhnungsbedürftig und mag zunächst schwer verdaulich sein. Doch es half mir, Zugang zu einzelnen Spielarten des Jazz zu finden. Unter diesem Aspekt hat „Illuminations“ viel zu bieten und reifte zu einem Juwel in meiner Sammlung. Daher kann ich es abenteuerlustigen Musikfreunden wärmstens empfehlen. Da es freilich – außer bei „Angel of Sunlight“ – weitgehend ohne Schlagzeug und Percussion auskommt, stellt es manchen Santana-Fan auf eine harte Probe. Ein sehr gutes Album, bei dem Carlos mit außergewöhnlichem Spiel glänzt, ist es dennoch.

(Dieser Beitrag ist ein modifizierter Auszug aus „Sechs Jahrzehnte SANTANA“.)

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