Sonntag, 30. Juni 2024

Carlos Santana, Mahavishnu John McLaughlin – Love Devotion Surrender (1973)

Im Oktober 1972 startet Santana eine ausgedehnte Promotion-Tour für die neue LP „Caravanserai“. Der Auftakt findet am 4. Oktober im Winterland in San Francisco statt. Es ist das erste Santana-Konzert für Deborah King, Carlos‘ künftige Frau – die beiden sind nun schon seit einigen Monaten zusammen. Als weiterer Gast kündigt sich niemand Geringeres als John McLaughlin an, der 1970 mit Miles Davis auf „Bitches Brew“ und ab 1971 mit seinem Mahavishnu Orchestra den Jazzrock revolutioniert hat. Er kommt extra aus New York angereist. „Es war ziemlich schräg, wie das geschah“, erzählt John einige Monate später in einem Interview. „Ich wachte eines Morgens auf mit der Idee, ein Album mit Carlos aufzunehmen. Am selben Tag rief mein Manager an und sagte, dass er sich mit Clive [Davis] getroffen hatte und dass Clive vorschlug, dass ich ein Album mit Carlos mache“ – jener Clive Davis von Columbia, der „Caravanserai“ einige Monate zuvor noch als Karriere-Selbstmord bezeichnet hatte. In der letzten halben Stunde der Show im Winterland steht McLaughlin mit Santana auf der Bühne. Anschließend sprechen die beiden Gitarristen über das gemeinsame Albumprojekt.


Über John McLaughlin lernt Carlos auch bald den Guru Sri Chinmoy kennen. Bei Sri Chinmoy findet er die ersehnte innere Ruhe und Ausgewogenheit. „Meine Frau und ich waren enttäuscht von diesem katholischen Ding“, erklärt Carlos, „und wir suchten östliche spirituelle Werte – etwas, das sich nicht um Verdammung und Richten dreht. Wir suchten Erweiterung und Anerkennung unserer gesamten Persönlichkeiten als Individuen, wodurch man innerlich flexibler wird“.

Von 1972 bis 1981 bleiben Carlos und Deborah dem Guru treu. Jahre später erläutert Carlos: „Dieses Bedürfnis nach Religion, nach einem Wertesystem, nach Metaphysik hat nicht, wie man gerne annimmt, mit dem ungeordneten Musikerleben zu tun, sondern mit der Suche nach Inspiration. Ein Musiker ohne Inspiration ist wie ein Vogel ohne Flügel. Darum sucht ein Musiker, um kreativ sein zu können, nach einer Möglichkeit, seine Inspiration zu potenzieren“.

In dieser Phase also spielt Carlos Santana gemeinsam mit dem begnadeten Gitarristen John McLaughlin dieses die äußeren Grenzen der Rockmusik sprengende Album „Love Devotion Surrender“ ein. Es ist ein weiteres Album der verbliebenen Santana-Musiker auf der Schwelle zum Jazz, voller Inbrunst und Intensität, doch hypnotisch groovend. Fast alle Stücke stammen vom 1967 verstorbenen John Coltrane, einem großen Vorbild von Carlos und John McLaughlin.


Den Albumtitel zu übersetzen fällt schwer. „Love“ ist klar. „Devotion“ bedeutet Hingabe, Zuwendung, Ergebenheit, Aufopferung. „Surrender“ bedeutet Kapitulation, Unterwerfung und ebenfalls Hingabe. Was genau ist der Unterschied?

Sri Chinmoy führt dazu bereits 1970 in seiner Schrift „Love, Devotion and Surrender“ aus, dass Devotion die Intensität der Liebe und Surrender die Erfüllung der Liebe sei. „Bedauerlicherweise wird Surrender im Westen falsch verstanden. Wir haben das Gefühl, diese Hingabe bedeute, dass jemand über uns herrscht und dass wir keine Individualität und Persönlichkeit mehr haben. Aus der gewöhnlichen, menschlichen Perspektive stimmt dies. Aus der spirituellen Perspektive ist es jedoch vollkommen falsch. Wenn das Endliche ins Unendliche eintritt, wird es sofort Teil der Unendlichkeit. Wenn ein kleiner Tropfen in den Ozean fällt, können wir ihn nicht mehr erkennen. Er wird zum mächtigen Ozean“. „Surrender“ meint also, Teil eines größeren Ganzen zu werden – das nennt man Selbstvergessenheit oder Selbsttranszendenz. Die Übersetzung von „Love Devotion Surrender“ lautet hiernach „Liebe Hingabe Selbstvergessenheit“.

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