Als das Album 2012 auf Carlos' neuem Label Starfaith Records
erscheint, vermarktet die Plattenfirma es als "album two decades in the
making". Ungefähr seit "Milagro" (1992) wurde also daran
gearbeitet, zumindest konzeptionell. Das passt durchaus.
Denn der Titelsong "Shape Shifter" mit
indianischem Intro wird zwar bald zu einer treibenden, rockigen Nummer. Doch
der indianische Gedanke – auf dem Cover dynamisch in Szene gesetzt und um zwei
Zitate von Häuptlingen in den Liner Notes ergänzt – bildet tatsächlich eine
Brücke zu "Milagro" und dem dortigen Song "Aqua Que Va
Caer".
"Dom" ist ein eher sanftes Lied zum Träumen, wie
auch "Angelica Faith" – so heißt Carlos' jüngste Tochter – welches
bereits auf "Food For Thought" veröffentlicht wurde. "Dom"
hätte ich aufgrund seiner melancholischen Melodie durchaus als osteuropäische
Volksweise durchgehen lassen, doch die afrikanischen Brüder Touré haben es
geschrieben. Von ihnen stammen neben "Dom" auch "Africa
Bamba" (auf "Supernatural") und "Con Santana" (auf
"All That I Am").
"Nomad", dumpf und schwer, demonstriert den
erdigen, fast schon harten Sound, den Carlos seit einigen Jahren pflegt.
"Metatron" ehrt den Engel aus jüdischer und
christlicher Mythologie sowie der modernen Esoterik, welcher Carlos in dessen
Meditationen auf den Erfolg von "Supernatural" vorbereitete.
"Never The Same Again" und "In The Light Of A
New Day" plätschern unauffällig vor sich hin. "Spark Of The
Divine", mit einem Hauch von "Illuminations" am Anfang, fällt
vor allem durch seine Kürze und sein sehr plötzliches und nicht wirklich
nachvollziehbares Ende auf. Dabei hätte der göttliche Funke gerne noch einige
Minuten weiterglimmen dürfen.
Bis hier sind alle Songs eher rockig und im mittleren Tempo
gespielt, von Carlos' unermüdlich melodiöser Gitarre geprägt, aber ohne
Percussion, die manch einem Fan sicher fehlen wird. Gitarre, Keyboards (Chester
Thompson), Bass (Benny Rietveld) und Schlagzeug (Dennis Chambers) bleiben
weitgehend für sich. Die Aufnahmen entstanden größtenteils 2001 in den Fantasy
Studios im kalifornischen Berkeley. "Metatron" und "Angelica
Faith" stammen aus dem Jahr 1996, wurden 2001 aber mit neuen Gitarrenparts
versehen. Sie sind gefällig, intensiv arrangiert und daher trotz abwesender
Percussion ziemlich gut.
Bei "Macumba In Budapest" – welch ein schräger
Titel – geht es endlich richtig los, auch wenn er zum Schluss nach den vorherigen Songs klingt. Hier hören wir endlich Percussion, die eine
sehnsuchtsvolle Melodie begleitet, bevor in einer Boogaloo-Passage das Feuer brennt.
"Mr. Szabo" meint natürlich Gabor Szabo, den
Komponisten von "Gypsy Queen". Und wer dessen Album
"Spellbinder" kennt, wird sich den ganzen Song über intensiv daran
erinnert fühlen, denn er wimmelt nur so von Zitaten. Richtig toll gemacht.
Akustische Gitarre und auch der Percussion-Teppich sind ganz im Szabo-Stil
gehalten. Dieser Song rechtfertigt in meinen Augen bereits die Anschaffung des
Albums.
Mit "Caravanserai" hat "Shape Shifter"
immerhin gemeinsam, dass auf einem Stück eben doch gesungen wird. "Eres La
Luz" mit den Stimmen von Tony Lindsay und Andy Vargas ist eine feine
Samba, an der Fans der frühen Santana-Musik ihre Freude haben werden.
"Canela" erhält nach einem Break nach drei Minuten
ebenfalls lateinamerikansches Flair, macht Dampf und löst nicht zuletzt durch
das nunmehr leidenschaftliche Zusammenspiel von Gitarre, Piano (Salvador
Santana) und Hammondorgel Wohlgefallen aus.
"Ah, Sweet Dancer", diesen gefühlvollen und
langsamen Song, kennen wir bereits von der DVD "Hymns For Peace".
Carlos hat ihn in einem Taxi in Deutschland erstmalig gehört und in sein
Programm integriert. Damit klingt das Album besinnlich aus.
Einem Santana-Fan, dessen Herzrhythmus durch Congas und
Timbales bestimmt wird, fällt die abschließende Bewertung schwer. Denn wenn die
Percussion über weite Strecken fehlt, ist die Musik irgendwie nicht, was man
von Santana erwartet. Andererseits darf die Band durchaus neue Wege
beschreiten. Carlos' Gitarre ist von beträchtlicher Allgegenwart und Dominanz.
Und sie klingt wirklich gut. Die Soli sind kreativ und oft richtig schön. Sie
sind keineswegs belanglos dahin gespielt, sondern kraftvoll und mit Seele.
Daher halte ich "Shape Shifter" insgesamt für ein gelungenes Album.
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